E-Commerce

RECHTSPROBLEME DES E-COMMERCE

von Dr. Markus Züst, Rechtsanwalt, St. Margrethen

Die moderne Welt kommt ohne Automaten und EDV nicht mehr aus. Die Rechtswissenschaft ist damit in verschiedener Hinsicht herausgefordert. Das Vertragsrecht geht grundsätzlich davon aus, dass zwei physisch existierende, dh. natürliche Personen, einen Vertrag abschliessen. Eine erste Form der Abstraktion stellt ein Vertrag zwischen einer juristischen Person (z.B. einer Aktiengesellschaft) und/oder einer natürlichen Person dar. Man hat hier keine Mühe, einen solchen Vertrag gleich zu behandeln, wie wenn zwei natürliche Personen involviert sind. Im Zeitalter des Internet werden Verträge über Dienstleistungen oder Waren aber häufig durch den Computer via Modem abgewickelt (z.B. Kauf von Büchern oder CDs oder Vermittlung von last-minute-Reisen), wobei auf einer oder sogar auf beiden Seiten keine natürlichen Personen beteiligt sind. Man spricht vom sog. E-Commerce und unterscheidet folgende Formen:

  • B2B (Business to Business), bei welcher der Vertragsabschluss auf beiden Seiten EDV-mässig ohne Mitwirkung von natürlichen Personen erfolgt
  • B2C (Business to Customer), wo der Vertragsabschluss auf einer Seite EDV-mässig abgewickelt wird, wobei die Zahlung meistens über Kreditkarten erfolgt

 

Es stellen sich verschiedene interessante Rechtsprobleme

1. Bindung an die Offerte

Die erste Problematik ist, was bei einer E-Commerce-Lösung eine Offerte darstellt und wie lange der Offerent gebunden ist. Bei der Prüfung der Frage, ob die Darstellung von Waren oder Dienstleistungen samt Preisen eine Offerte darstellt, ist Art. 7 Abs. 3 OR heranzuziehen, welcher besagt, dass die Auslage von Waren mit Angabe des Preises in aller Regel als Antrag gelte, an welchen der Offerent gebunden ist. Entscheidend ist aber, wie lange die Bindung andauert. Die Beantwortung dieser Frage entscheidet, welches Entgelt für eine Ware oder Dienstleistung zu zahlen ist. Dies ist gerade bei Reiseangeboten wichtig. Kann der Betreiber einer E-Commerce-Lösung die Preise nachträglich noch erhöhen, wenn sich z.B. die Flugticketkosten wegen der Kerosinpreise schlagartig verdoppeln? Dies muss bejaht werden, wenn der Homepage-Betreiber einen entsprechenden Vorbehalt anbringt, was in aller Regel der Fall ist. Fehlt ein solcher, so hängt die Offertbindung davon ab, ob eine Offertstellung unter Anwesenden oder Abwesenden vorliegt. Im ersten Fall gilt die Offerte gemäss Art. 4 Abs. 1 OR als abgelehnt, sofern sie nicht sofort angenommen wird. Nimmt man eine Offertstellung unter Abwesenden an, ist der Offerent bis zu jenem Zeitpunkt gebunden, wo er den Eingang der Antwort bei ordnungsgemässer und rechtzeitiger Absendung erwarten darf (Art. 5 Abs. 1 OR). Wann liegt nun eine Offertstellung unter Anwesenden, wann eine solche unter Abwesenden vor? Nach meiner Auffassung ist zu prüfen, ob die Homepage beim Vertragsabschluss inaktiv bleibt, also bloss das Angebot darstellt und bestellt werden kann oder ob die Homepage im Rahmen der Abwicklung aktiv ist, indem z.B. das Programm dem Interessenten je nach Beantwortung der Fragen unterschiedliche Angebote unterbreitet. Das kann durch die Menuführung geschehen. Im Menu werden je nach Beantwortung der Fragen unterschiedliche Angebote offeriert. Je nach Antwort auf die Frage nach der Höhe der Reisekosten wird entweder ein Angebot für eine Reise an den Sandstrand von Rimini oder aber Ferien an der Südküste der Türkei angeboten. Im ersten Falle, also bei inaktiver Homepage, ist m.E. eine Offertstellung unter Abwesenden, im zweiten Falle, bei aktiver Homepage, eine solche unter Anwesenden anzunehmen. Es liegt keine andere Situation vor, als wenn ein Mitarbeiter eines Reisebüros dem Interessenten je nach geäusserten Wünschen unterschiedliche Angebote unterbreitet. Konsequenz ist, dass bei einer aktiven Homepage die Offerte als abgelehnt gilt, wenn sie der Interessent nicht sofort annimmt. Im Falle einer inaktiven Homepage ist das Reisegeschäft nach Massgabe von Art. 5 Abs. 1 OR gebunden.

Auf der Seite des E-Commerce-­Unterneh­mens ist wichtig, dass das Angebot genügend vorrätig ist. Sollte dies nicht der Fall sein, läge verschuldete Unmög­lich­keit vor (Art. 119 Abs. 1 OR), welche das Unternehmen schadenersatzpflichtig machen würde. Der E-Commerce-Betreiber kann sein Angebot allerdings einschränken, indem Lieferung versprochen wird, solange die Ware vorrätig ist oder indem er das Angebot als „freibleibend“ oder „ohne Obligo“ deklariert. In diesen Fällen ist er gemäss Art. 7 Abs. 1 OR nicht an die Offerte gebunden.

 

2. Allgemeine Geschäftsbedingungen

Das moderne Geschäft ist über weite Strecken typisiert und ein Massengeschäft. Dies ruft der Standardisierung. Es würde wenig Sinn machen, für den gleichen Vorgang immer wieder individuelle Ver­trä­ge aus­zuhan­deln. Der Anbieter offeriert sein Angebot im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedin­gun­­gen (sog. AGB), welche für gleich gela­gerte Fälle gelten sollen. Dies ist einerseits positiv, indem dadurch die Regeln im Sinne der Rechtssicherheit klar fixiert wer­den. Auf der ande­ren Seite aber wird der Urheber der Geschäftsbedingungen bestrebt sein, seine Rechtsposition optimal abzusichern und die Rechte der anderen Vertragspartei nach Mög­lich­keit zu beschneiden. Gerade ­bei Geschäf­ten über das Internet sind Allge­meine Geschäftsbedingungen (fast) die Regel.

Im deutschen Recht besteht das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl. das deutsche Gesetz vom 9.12.1986;BGBl. I S. 3317). In der Schweizer Rechtsordnung wurde bei der Revision des Bundesgesetzes über den unlauteren Wettbewerb Art. 8 UWG geschaffen, welcher die Anwendung vorformulierter allgemeiner Geschäftsbedingungen unter bestimmten Voraussetzungen als unlauter qualifiziert. Die Schweizer Regelung ist kompliziert und wenig geeignet, einen Interessenausgleich herbeizuführen. Entsprechend marginal sind denn auch höchstrichterliche Entscheide zu Art. 8 UWG.

Soweit nicht Art. 8 UWG zur Anwendung gelangt, ist die Gültigkeit der AGB davon abhängig, ob diese vom Konsens der Parteien erfasst sind. Vertragsinhalt werden sie durch ausdrückliche Erklärung der Parteien (z.B. in einem Brief oder in einer Email). Bei Angeboten im Internet wird eine Bestellung in der Regel nur dann möglich sein, wenn der Interessent durch einen Mausklick die Anwendung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen akzeptiert. Der Raum individueller Absprachen ist daher marginal.

 

3. Gerichtsstand/Frage des anwendbaren Rechtes

Es ist die Besonderheit des E-Commerce als Phänomen der Globalisierung, dass die Vertragspartner häufig in verschiedenen Ländern domiziliert sind. Die Frage ist zu prüfen, wo geklagt werden kann und welches Recht durch den Richter anwendbar ist. Hier entscheidet sich, ob der als Schnäppchen angepriesene Computer wirklich wohlfeil war oder nicht. Wenn ich nämlich eine Firma in Costarica belangen und vor den dort zuständigen Gerichten nachweisen muss, wie das Schweizer Recht beschaffen ist, können Kosten auflaufen, die den Einspareffekt gar bald aufheben. Von daher empfiehlt sich bei allem Respekt vor dem Effekt der Globalisierung doch, bei angeblich günstigen Angeboten zu prüfen, was im Falle von Störungen in der Vertragsabwicklung rechtlich unternommen werden kann und welche Kosten anfallen. In den Allgemeinen Geschäftsbestimmungen sind Regeln über den Gerichtsstand und das anwendbare Recht fast Standard. Es ist daher zu empfehlen, diese vor Eingehung eines Vertrages zu lesen.

 

4. Sicherheits-/Beweisfragen

So einfach die Vertragsabwicklung auf dem Wege des E-Commerce via Mausklick ist, es gilt zu bedenken, dass erhebliche Gefahren lauern. Das anonyme Gegenüber muss nicht immer ein honoriges Unternehmen sein, sondern es kann hinter der Homepage ein Krimineller lauern, welcher es einzig darauf abgesehen hat, Geld abzuzocken. Sicherheitsfragen stehen daher im Vordergrund. Man bedenke, dass in der Regel die Kreditkarteninformationen übermittelt werden müssen, weil sonst der Vertragsabschluss nicht zustande kommt. Die Gefahr, dass mit diesen Informationen Missbrauch betrieben wird, ist gross. Davon können Surfer ein Lied singen, welche nur so nebenbei eine Sex-Homepage besuchen, dort dann ihre Kreditkartenangaben preisgeben und erstaunt sind, wenn die nächste Rechnung des Kreditkartenunternehmens astronomische Höhen erreicht. Die Technik bietet heute zwar die elektronische Signatur, bei welcher eine Unterschrift einer ganz bestimmten Person zugeordnet werden kann bzw. bei welcher die Zuordnung zu dieser ausgeschlossen werden kann. Die Akzeptanz solcher Zertifizierungen ist allerdings (noch) gering, weil zu kompliziert. Sie sind aber ein Weg, vermehrt Sicherheit im E-Commerce-Bereich zu schaffen. Wichtig ist aber auch die Beweissicherung. Namentlich das E-Commerce-Unternehmen muss Beweise sichern, damit es im Falle prozessualer Auseinandersetzungen den Nachweis erbringen kann, dass ein bestimmter Surfer bestellt hat. Der Beklagte kann sich grundsätzlich darauf beschränken, alles zu bestreiten, nämlich dass er die Homepage des Unternehmens besucht und dass er bestellt hat. Es ist dann dem Unternehmen aufgetragen, die Beweise für den Vertragsabschluss vorzulegen. Die Identifizierung des Surfers ist nicht so einfach. Das E-Commerce-Unternehmen wird zwar gewöhnlich die IP-Adresse (TCP/IP-Adresse) des Surfers speichern, doch ist die Zuordnung der Adresse schwierig, denn IP-Adressen sind vielfach nicht fix, sondern werden vom Internetprovider aus einer Vielzahl von IP-Nummern dynamisch vergeben, so dass der Besteller nur mit grossem Aufwand ermittelt werden kann. Weiter kann eine IP-Adresse auch durch Cracker mit der Spoofing-Methode verfälscht werden (Methode zur Verfälschung der eigenen IP-Adresse A durch deren Ersetzung durch die Adresse B; vgl. Anonymus, Hacker’s Guide, Verlag Markt & Technik, München 2003, S. 161). Aber auch der Besteller ist gehalten, die Bestellungsorder auszudrucken, um sich gegen Überraschungen bei der Rechnungsstellung zu wappnen.

Zusammengefasst zeigt sich, dass in der Welt des Internet neue Formen des Vertragsabschlusses entstanden sind, welche nur mit Mühe in das Prokrustesbett der bestehenden Rechtsordnung eingezwängt werden können und bei welchen die Schnelligkeit des Vertragsabschlusses mit Gefährdungen der Rechtspositionen von Anbieter und Interessenten einhergehen.

 

 

Literatur:

  • DACH-Schriftenreihe Nr. 16: Rechtsprobleme des E-Commerce, Köln 2001
  • Weber Rolf H., E-Commerce und Recht, Zürich 2001
  • Züst Markus, E-Commerce im Schweizer Recht in DACH-Schriftenreihe Nr. 16, S. 17 ff.

Gesetzgebung:

  • Verordnung über Dienste der elektronischen Zertifizierung (ZertDV); SR 784.103
  • EU-Richtlinie über den Fernabsatz
  • § 312 des deutschen BGB
Veröffentlicht in Gut zu wissen